Es führt kein Weg daran vorbei, die Platzierung des Marktplatzes im 20. Jahrhundert im Kontext des Zeitgeistes zu betrachten. Denn die historische Ortsstruktur hatte keine Platzbildung als Ortsmitte vorgesehen. Die Marktstraße, ursprünglich die „Markstraße“, wurde erst 1860, nach Abriss eines Hauses, von dem damaligen Schulneubau bis zur Bachstraße weitergeführt. Der Markt wurde schließlich seit alters her zwischen damaligem Moselufer und südlicher Bebauung (Fronhof, Krone, Horntor), zu späteren Zeiten auch unter dem Bahnviadukt, abgehalten.
Der heutige Marktplatz ist eine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Mitte der 30er Jahre wurden nicht nur in großen und kleinen Städten, sondern in kleinsten Dörfern und Siedlungen Plätze und Bauten geplant und teilweise auch realisiert, um der nationalsozialistischen Gesellschaft eine funktionale, organisatorische und städtebauliche Grundlage zu verschaffen: Versammlungsplätze, Feierstätten, „Bauten der Gemeinschaft“ waren die liturgischen Räume.
Dieser Trend wurde übrigens auch von vielen Kommunen (und Planern) zum Anlass genommen, neue städtebauliche Strukturen zu schaffen. Der konkrete Anlass und die Motivation für das Winninger Marktplatz-Projekt ist eine eigene Recherche wert.
Vor diesem Hintergrund sind der 1937 erfolgte Ankauf und Abbruch mehrerer Häuser zwischen der „Kleinen Schule“ und der Ecke Marktstraße/Bachstraße durch die Gemeinde zu verstehen.
Rückwirkend gesehen, ein ungeheurer Eingriff, mutig und mutwillig zugleich, in die vorgegebene Ortsstruktur. Ein Glück, dass bis Kriegsende über die Freilegung hinaus keine Gestaltung erfolgte. 1951 legte die Gemeinde die Festspielbühne vor den stehen gebliebenen Seiten-/Hoffassaden der angrenzenden Häuser an. Außer einer Teerdecke gab es aber über Jahrzehnte keine Gestaltung. Der Platz musste bis in die 80er Jahre als Verkehrsfläche und Parkplatz für Autos und Busse herhalten.
Im Zuge der Dorfentwicklung hat die Gemeinde 1984 den Marktplatz umgestaltet (Planung 1982/83) Die Einweihung erfolgte am 26. November 1984. Das Projekt hat nicht unwesentlich zum Erfolg beim Bundeswettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ 1985 beigetragen.
Durch den neuen Platz wurde die ursprüngliche Dorfstruktur entscheidend umgepolt. Er wurde von den Architekten aber so konzipiert, dass er (nachträglich) wie selbstverständlich als Ortsmittelpunkt empfunden werden sollte – so als sei er schon immer da gewesen. Der Gemeinderat hat sich in vielen Sitzungen mit dem Projekt befasst und sich für die solide Version des natürlich aufwändigeren Basaltpflasters entschieden. Die „Bühnenfassade“, die in den 50er Jahren als aufgenageltes Scheinfachwerk dekoriert worden war, blieb lange unverändert.
Auszüge aus: Peter Lammert – Städtebauliche Entwicklung und architektonische Merkmale – Winningen – Beiträge zur Ortsgeschichte
Hinweis: Vor einiger Zeit wurde die Fassade an der Freilichtbühne neu gestaltet. Die Feuerwehr ist inzwischen in ein neues Domizil umgezogen.Die Häuser am Marktplatz gingen in Privatbesitz über und sollen Teil eines Projektes für „Betreutes Wohnen“ werden. Geplant sind auch ein „Dorfladen“ und ein Café „Zur alten Feuerwache“.