Fachwerk und Winninger Häuser

Im Ortskern haben sich – trotz mancherlei Brände – noch zahlreiche, schmucke Fachwerkhäuser aus dem 16. und 17. Jahrhundert erhalten. Sie alle stehen heute unter Denkmalschutz. Um das kulturelle Erbe zu erhalten hat der Ortsgemeinderat schon früh rechtliche Vorgaben geschaffen. Mit einer Erhaltungs- und Gestaltungssatzung (durchaus kontrovers diskutiert) steckt Winningen den Rahmen für mögliche Veränderungen an historischen Gebäuden ab (eine Broschüre kann abgerufen werden unter: https://winningen.de/wp-content/uploads/2021/09/Erhaltungs-und-Gestaltungssatzung-Broschuere-klein.pdf)

Prof. Peter Lammert, Architekt und Städteplaner, hat in den Beiträgen zur Ortsgeschichte die Winninger Häuser wie folgt beschrieben:

Die Hausform ist in die moselfränkische Entwicklung einzuordnen. (Der Verfasser hatte ein besonderes Erlebnis, als er in Siebenbürgen die fast identischen Hausformen und Straßenansichten antraf – schließlich waren die Siebenbürger Sachsen vor 800 () Jahren eingewandert und zu einem guten Teil aus dem Moselfränkischen gekommen.) Das Prinzip hat sich über Jahrhunderte nicht geändert: zweigeschossiges Vorderhaus, mit Küche und Wohnstube im Erdgeschoss; die Schlafräume und dann auch die „Visite-Stub“ im Obergeschoss; unter dem Haus natürlich der Weinkeller. Zur Gasse hin eine Port, dahinter die Hofzufahrt mit dem seitlichen Hauseingang. Ein kleines Hinterhaus mit Stall und Scheune,® So langsam hat sich das Grundstück aufgefüllt: Die Hofeinfahrt wurde überbaut, die stattliche Port zur Straße mit Schlupftür ergab einen hermetischen Abschluss des Hofes. Vorder- und Hinterhaus wurden mit der Zeit baulich verbunden, es entstand das Zwischenhaus. Nach Aufgabe der Klein-Landwirtschaft und Konzentration auf den Weinbau wurde auch das Hinterhaus für Geräte, Maschinen und Lagerung genutzt, in einigen Fällen wurde noch der Hof unterkellert, um die Kapazität des Weinguts zu erhöhen. Und auch dann, wenn wie heute zunehmend die Weinbaunutzung entfällt, werden Hinter- und Zwischenhaus zur Wohnnutzung für die nächste (oder die ältere) Generation oder für Ferienwohnungen herangezogen. Diese ganzen Entwicklungsstufen und die Nutzungsvariat des Haustyps sprechen für ein leistungsfähiges Grundrissprinzip.

Die älteren Häuser sind in der Regel Fachwerkkonstruktionen oder einfache Steinhäuser, bei denen statt Kalkmörtel Lehm verwendet wurde. Bis auf wenige sind die meisten der älteren Häuser verputzt. Die sichtbaren Fachwerkhäuser (z.B. in der Herrengasse, der Fron-, Bach- oder der unteren Fährstraße) sind zwar auffallend im Ortsbild, bilden aber den geringsten Anteil aller Bauten. Bereits in der Marktstraße und der oberen Fährstraße dominiert die Steinbauweise, in den Erweiterungszonen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts (Neustraße, obere Friedrichstraße, obere Wilhelmstraße) finden wir hingegen hochwertige Bruchsteinhäuser in Sichtmauerwerk, die dem Zeitgeschmack des 19. Jahrhunderts entsprechen.

Manche Besonderheiten sind sicher auch in anderen Orten und sogar anderen Regionen anzutreffen. Zum Beispiel die kleinen Dachgauben der Schieferdächer und auch die Zwerchhäuser zum Materialaufzug in den Dachspeicher. Oder die bemerkenswerte Methode, den gewölbten Weinkeller zu bauen: Der gewachsene Boden wurde, geformt, als Schalung benutzt; und erst nach Fertigstellung des Kellergewölbes wurde der Aushub in mühevoller Arbeit herausge-schafft. Zwischen den Häusern gibt es jeweils nur eine Trennwand, die zugleich Brandwand ist. Die kann natürlich nur einem der Hausnachbarn gehören: jeweils dem, auf dessen Seite im Keller eine Wandnische, die „Schorrb“, ausgespart ist. Damit die Eigentumsverhältnisse für alle Zeiten klar sind.

Der wesentliche Konsens ist der sparsame Umgang mit dem Bauland zugunsten der bewirtschafteten Landwirtschafts- und Weinbergsflächen. Dass die äußerste Dichte auch Auswirkungen auf soziale Strukturen hat oder – anders herum – Ausdruck der sozialen Struktur ist, steht auf einem andern Blatt. Die so genannte „soziale Kontrolle“ (hier ein wertfreier Begriff aus der Stadtsoziologie) in allen positiven (Anteilnahme, Hilfe) und negativen (Anteilnahme, Kritik) Auswirkungen ist über die Gassenbreite von gerade mal fünf oder fünfeinhalb Meter bis heute eine naheliegende Vermutung, die hin und wieder lebhaft bestätigt wird. Komplementär zu dieser Nähe kann die völlige Abgeschlossenheit der Höfe gesehen werden.

Die beiden Gegensätze „absolute Privatheit* und „Offentlichkeit/Nachbarschaft“ halten sich die Waage. Der Mensch braucht den Bezug zu Öffentlichkeit und Gemeinschaft genau so wie die Privatheit: Je mehr Öffentlichkeitsbezug, desto rigoroser das Bedürfnis nach dem Pendant.

Insoweit sind die moselfränkischen und damit die Winninger Hofhaus-Typen exemplarischeBeispiele für ein grundlegendes städtebauliches Prinzip, das in unterschiedlichsten Ausformungen bis heute gilt.

(Quelle – Auszüge – : Prof. Peter Lammert – Städtebauliche Entwicklung und architektonische Merkmale – Beiträge zur Ortsgeschichte)

Fachwerk 17. Jahrhundert in der Fährstraße. Alle Fotos: Brost
Herrenstraße
Ecke Bach-/Herrenstraße
Fachwerk untere Friedrichstraße am Horntor
Fachwerkhaus in der Bachstraße
Bachstraße/Winzerwirtschaft
Broschüre zur Erhaltungs- und Gestaltungssatzung