Die Schlickum-Apotheke

Die Winninger Apotheke besteht nunmehr seit mehr als 200 Jahren! Dabei sah es zunächst nicht danach aus, als ob Winningen eine solche überhaupt bekommen sollte. Denn: „So geht aus den angeführten Gründen unser Gutachten fest und bestimmt dahin, daß die Errichtung einer neuen Apotheke nicht gestattet werden kann.“ Mit diesen Worten lehnte das Medizinalkollegium in Koblenz im Oktober 1819 zunächst die Gründung einer Apotheke in Winningen ab.

Am 1. September 1820 erteilte das Ministerium in Berlin der Regierung Koblenz doch noch die Approbation für den Kandidaten der Pharmazie Josef Krahe als Apotheker in Winningen. Die hierüber ausgestellte Urkunde erhielt Krähe durch den Landrat von Koblenz gleichzeitig mit seiner Vereidigung am 2. Oktober 1820. Nach der ersten offiziellen Revision am 30. Oktober wurde Krahe am 11. November zur Eröffnung der Apotheke autorisiert. Neun Jahre hat Krahe in Winningen als Apotheker gelebt, am 18. Dez. 1829 starb er „nach langem Leiden an einer auszehrenden Krankheit“ in Winningen. 

Er hinterließ eine sieben Jahre alte Tochter aus seiner ersten Ehe. Bis Ostern 1830 wurde der Apothekergehülfe Gustav Ihl, der früher in Magdeburg gearbeitet hatte, mit der Verwaltung der Apotheke beauftragt.

Am 4. April 1834 reichte der in Düsseldorf wohnhafte Apotheker 1. Klasse Julius Schlickum der Regierung ein Gesuch um Verleihung der Konzession für die Winninger Apotheke ein. Schlickum war am 26. August 1804 in Elberfeld geboren und zunächst von 1820 bis 1823 bei dem Apotheker Johann Batz in Düsseldorf in die Lehre gegangen. Im Herbst 1829 legte er seine Staatsprüfung mit „vorzüglich gut“ in Berlin ab. Genau drei Wochen nach dem Antrag von Julius Schlickum auf Übertragung der Apotheke reichte die Witwe Berckling ein entsprechendes Gesuch an die Regierung ein, in dem sie verlauten ließ, ein Verkauf der Apotheke an Schlickum sei wegen ihrer inzwischen stattgefundenen Verlobung mit Schlickum nicht mehr erforderlich. Die Regierung machte daraufhin die Erteilung der Konzession von der vollzogenen Eheschließung abhängig und vereidigte Schlickum zunächst als Provisor. Als die Ehe zwischen der Witwe Berckling und Julius Schlickum am 30. Dezember 1834 geschlossen war, wurde dem Apotheker am 28. Januar 1835 die Konzession zur Führung der Apotheke in Winningen erteilt.

Die Stellung, die die Apotheke bis zum Eintritt Schlickums innegehabt hatte, unterschied sie kaum von derjenigen anderer Landapotheken. Der Inhaber schlug sich recht und schlecht durch. Mit dieser Situation mußte auch Schlickum fertig werden. Wenn ihm dies in besonderem Ausmaß gelang, so verdankte er es seiner hohen wissenschaftlichen und pädagogischen Begabung. Denn er baute die kleine Winninger Apotheke zu einer Ausbildungsstätte für junge Apothekerlehrlinge aus – angesichts des nicht sehr hohen Geschäftsumsatzes sicherlich eine willkommene kleine Nebeneinnahme. Obendrein war Julius Schlickum ein bedeutender Botaniker, der mit zahlreichen Fachgenossen einen lebhaften Austausch von Pflanzen aller Art pflegte und dadurch eine große Herbarien-Sammlung sein eigen nannte. Der Sohn von Julius Schlickum, Oskar, sollte später das Werk des Vaters fortsetzen und – vor allem in publizistischer Hinsicht – durch zahlreiche wissenschaftliche Bücher krönen. Damit schufen Vater und Sohn Schlickum in Winningen eine Unterrichtsanstalt, deren guter Ruf eine Generation junger Apotheker aus nah und fern in Winningen zusammenzog, wo sie auf ihr Lehrlingsexamen vorbereitet wurden. 

Von 1835 bis 1856 hat Julius Schlickum stets einen Apotheker, hin- und wieder auch gleichzeitig zwei, ausgebildet. Der letzte Lehrling, der in den Akten begegnet, ist 1856 Schlickums Sohn Carl Oskar gewesen. Im Jahre 1867 übertrug Julius Schlickum die Apotheke in Winningen seinem Sohn Oskar; er selbst zog sich ins Privatleben zurück, um sich nunmehr ausschließlich seinem Lieblingsgebiet, der Botanik, widmen zu können. Julius Schlickum ist am 17. Dezember 1884 in Winningen gestorben.

(Anmerkung: Julius Schlickum gehörte auch der „Junge akademische Gesellschaft“ in Winningen an, zu der  neben dem Theologen Albrecht Schöler der Arzt Dr. Carl Wilhelm Arnoldi, die Theologen Karl und Heinrich Bungeroth, der Naturwissenschaftler Philipp Wirtgen, der Winninger Lehrer und Botaniker Johann Rüdiger und Friedrich Wilhelm Raiffeisen angehörte)

1865 legte Oskar Schlickum in Bonn – ohne Universitätsstudium – sein Examen mit „sehr gut“ ab. Nach zwei weiteren Jahren übernahm er dann im Jahre 1867 die Apotheke seines Vaters, die er bis zu seinem Tod am 4. April 1889 innehatte. Oskar Schlickums Bedeutung für den Apothekerstand läßt sich unter zwei Gesichtspunkten zusammenfassen. Er setzte die Tradition seines Vaters fort und bildete zahlreiche Apotheker für ihr Examen aus. Allerdings verfolgte er diese Arbeit nicht mit derselben Intensität wie sein Vater, denn seine publizistische Tätigkeit, durch die Oskar Schlickum bis heute in Fachkreisen unvergessen ist, ließ seine pädagogischen Aufgaben etwas in den Hintergrund treten. Im August 1880 – bis zu jenem Zeitpunkt waren schon neun selbständige Bücher von Schlickum erschienen – reichte er der Regierung in Koblenz ein Gesuch ein mit der Bitte, eine Pharmazieschule in Winningen eröffnen zu dürfen. Er begründete seinen Antrag mit dem „Mangel an wissenschaftlicher Ausbildung sowie dem großen Mangel geeigneter resp. bereitwilliger Lehrprincipale“. Dazu ist es aber nie gekommen.

War Schlickum auch versagt, eine Apothekerschule zu gründen, so konnte er doch derselben Aufgabe, die ihm wie seinem Vater so sehr am Herzen lag, durch eine fruchtbare publizistische Tätigkeit dienen. Hier liegt die besondere Bedeutung Oskar Schlickums, durch die er seinen Vater Julius weit überragte. Das kleine Winningen gestattete ihm, diesen Neigungen  nachzugehen. Während seiner ersten Zeit in Neuwied und seines militärischen Dienstes in Rastatt – also schon vor seinem Gehilfenexamen – hatte Schlickum bereits drei Bücher geschrieben: Der junge Chemiker (1863); Der chemische Analytiker (1864); Taschenwörterbuch d. botanischen Kunstausdrücke (1864). Seit 1874 erschienen in kurzen Abständen weitere Bücher, die ein erstaunlich hohes Maß an geistiger Schaffenskraft und Energie bei Schlickum voraussetzen. Wie begehrt die Bücher damals waren, erhellt aus ihren oft hohen Auflagen; das wichtigste Buch, „Die wissenschaftliche Ausbildung des Apothekerlehrlings“, erschien 1932 in der 15. Auflage; es ist noch heute in Apothekerkreisen als „der Schlickum“ wohlbekannt. Im einzelnen handelt es sich um folgende Bücher, die Schlickum während seines Aufenthaltes in Winningen verfaßte: Taschenbuch der Rezeptur und Defektur (1874), Pharmazeutischer Atlas (1876), Die    wissenschaftliche    Ausbildung    des Apothekerlehrlings  /1877), Lateinisch-deutsches Spezialwörterbuch der pharmazeutischen Wissenschaften (1879), Exkursionsflora für Deutschland (1881), Apothekerkalender (1882 ff.), Kommentar   zur   zweiten   Auflage   der Pharmacopöe Germanica (1883), Bereitung und Prüfung der in der Pharmacopöe Germanica Ed. lla nicht enthaltenen Arzneimittel (1884).

Außerdem erschienen zahlreiche Aufsätze von Schlickum in der Pharmazeutischen Zeitung  und im Archiv der Pharmazie. Die außerordentliche und erstaunliche Produktivität Schlickums auf schriftstellerischem Gebiet ließ 1884 nach und wandte sich einem anderen Bereich wissenschaftlicher Tätigkeit zu: Schlickum wurde in diesem Jahr als Mitglied der Pharmakopöe-Kommission des Deutschen Apothekervereins auf der Generalversammlung des Vereins zu ihrem Schriftführer und bereits zu Beginn des nächsten Jahres zu ihrem Vorsitzenden ernannt. Selbstlos hatte er sich in den Dienst der Pharmazie und ihrer Hilfswissenschaften gestellt. Eine verdiente äußere Anerkennung wurde ihm ein Jahr vor seinem Tode 1888 durch die Verleihung des roten Adlerordens zuteil.

Quelle: Auszüge aus Engelbert, Günter: Die Schlickumsche Apotheke zu Winningen. In: Koblenzer Heimatkalender. 1956. S. 47-56.

1891 übernahm ein Sohn von Carl Oskar Schlickum, Ludwig Richard, die Apotheke. Er führte sie bis zum 26. Mai 1933. Nachfolger waren dann Apotheker Mengen, Oscar Schlickum (Sohn von Richard Schlickum) und Apothekerin Hiltrud Saas,

Hinweis: Eine detaillierte Abhandlung über die Winninger Apotheke ist erschienen in „Winninger Hefte“, Band 5. ISBN 3-925991.05-0, Krumme-Verlag Winningen

Apotheke im historischen Haus. Alle Fotos: Lammai
Historische Officine
Heute führt Thomas Schäfer die Schlickum-Apotheke, hier mit einem Blatt aus dem Schlickum-Herbarium
alte Schlickum-Bände
Standardwerke von Schlickum zur Ausbildung von Pharmazeuten
Dieser "Schlickum" erschien in der 14. Auflage im Jahre 1926