Stolperstein Elisabeth Müller

Elisabeth Müller war eine Ur-Winningerin, geboren 1875 als ältestes von sieben Kindern des hiesigen Pfarrers Adolph Müller und seiner Ehefrau Caroline. Nach dem Besuch der Volksschule hier und der Evangelischen Höheren Mädchenschule in Koblenz, das sie  mit dem Lehrerinnenexamen für Höhere Schulen abschloss, war sie kurze Zeit Volksschullehrerin in Winningen. Bald zog sie zu ihrer reichen verwitweten Patentante nach Köln. Nach dem Tod der Tante im Jahr 1909 fiel ihre eine große Erbschaft zu. Daraufhin begab sie sich auf eine Weltreise. Als das Geld zur Neige ging, wurde sie Lehrerin an der Oberrealschule in Gießen. Elisabeth Müller war eine begeisterte Bergsteigerin. Bei einer Bergtour mit ihrem Bruder am Großvenediger im Jahr 1920 stürzte sie ab und verletzte sich schwer. Die Genesung gestaltete sich langwierig. Anfang der 1930er Jahre kehrte sie nach Winningen zurück. Hier lebte sie zurückgezogen, gab in geringerem Umfang Nachhilfestunden und war im Frauen- und Jungfrauenverein aktiv.

Politisch war Elisabeth Müller sehr wach und ausgesprochen regimekritisch eingestellt. Noch 1938 bezog sie englische Zeitungen und sprach mit Bekannten und Nachbarn über Zeitungsartikel, die kritisch über Deutschland berichteten. Das weckte den Argwohn der Gestapo Koblenz und auch von Nazi-Anhängern im Ort. So fiel auf, dass sie bei der „Volksabstimmung“ und „Wahl“ des Großdeutschen Reichstages am 10. April 1938 mit „Nein“ stimmte. Das war in den Augen der Winninger Verrat, hatte doch der Gemeinderat in seinem Aufruf dazu beschlossen: „Winningen als nationalsozialistische Hochburg erwartet (…) von jedem Wahlberechtigten ein rückhaltloses Bekenntnis, ein 100%iges Ja!“. Als die Wahlentscheidung Elisabeth Müllers bekannt
wurde – und sie wurde bekannt, weil es keine Geheimhaltung gab – schrie eines Nachts ein SA-Mann vor ihrem Haus: „Hier wohnt das Nein-Schwein!“ Das Kesseltreiben begann. Man verbot ihr, Nachhilfestunden zu erteilen und sammelte gegen sie eifrig Beweismaterial. Elisabeth Müller ließ sich aber nicht einschüchtern, tat weiterhin ihre Meinung zu den Dingen kund und pflegte einen regen Briefverkehr mit Gleichgesinnten. Dies, insbesondere ihre lebhafte Auslandskorrespondenz, führte zur Kontrolle ihrer Post. Dabei fielen der Gestapo Formulierungen auf, die sie als „erhebliche staatabträgliche Äußerungen“ ansah, wie etwa die: „In Köln waren ja Hungerrevolten. Es gab Erschießungen und Verhaftungen“. Daraufhin nahm die Gestapo Elisabeth Müller in „Schutzhaft“ in Koblenz. Ein Verfahren gegen sie wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem Volksgerichtshof wurde erwogen, dann aber verworfen. Es gab „nur“ eine Anklage vor dem Sondergericht Koblenz wegen Verbrechens gegen das „Heimtückegesetz“. Das Gericht gab sich dabei Mühe, für sie Entlastendes zusammenzutragen und brachte ihr insbesondere den schweren Bergunfall und dessen Folgen zu Gute. Das Urteil von Mai 1942 lautete dementsprechend vergleichsweise milde auf acht Monate Gefängnis. Dabei wurde ihr die erlittene Untersuchungshaft auf die Strafe angerechnet, so dass sie „nur“ noch für einen Monat in das Gefängnis Köln Klingelpütz musste.

Damit gab sich die Gestapo aber nicht zufrieden. Vielmehr sann sie – was damals zur „Korrektur“
ihrer Meinung nach falscher Urteile möglich war – auf eine „Nachhaft“. So kam Elisabeth Müller nach der Strafverbüßung im Klingelpütz nicht frei, sondern wurde der Gestapo überstellt. Sodann beantragte die Gestapo Koblenz beim Reichssicherheitshauptamt in Berlin, sie in ein Konzentrationslager zu überweisen. Tatsächlich wurde sie aufgrund eines Erlasses des Reichssicherheitshauptamts am 8. September 1942 – damals war sie 67 Jahre alt – ins Frauen-
Konzentrationslager Ravensbrück verschleppt. Während Elisabeth Müller dort unter unwürdigsten und schwierigsten Bedingungen um ihr Überleben kämpfte, erregte ihr „Fall“ hier die Gemüter. So wurde am 1. Mai 1943 am Maibaum eine Strohpuppe, die sie darstellte, aufgehängt und verbrannt. Zugleich war an der gegenüberliegenden Hauswand ein Plakat mit einem gehässigen Text in der Art einer Todesanzeige angebracht. Anfang Februar 1944 wurde sie im Frauen-KZ Ravensbrück selektiert und mit 1.000 anderen Häftlingen weiter in das Konzentrationslager Lublin verschleppt. Von dort transportierte man sie mit den Überlebenden weiter ins KZ Auschwitz. Von dort erhielt die Familie von ihr am 17. September 1944 eine letzte Nachricht. Am 27. Januar 1945 wurde Elisabeth Müller mit einigen tausend Häftlingen im KZ
Auschwitz von der Roten Armee befreit. Durch die jahrelange Haft waren ihre Kräfte aber so aufgezehrt, dass sie nicht mehr gesunden konnte. Zwei Monate später, am 25. März 1945, starb Elisabeth Müller in Auschwitz

(Quelle: Joachim Hennig)

Elisabeth Müller um 1900
Letztes Foto von Müller
Gedenkstein in der evangelischen Kirche. Foto: Lammai
Sterbeurkunde Müller, ausgestellt in Auschwitz.
Veröffentlichung von Elisabeth Müller
"Die Frau", in der Elisabeth Müller veröffentlichte
Stimmzettel, bei dem Elisabeth Müller das "Nein" ankreuzte
Verlegung der Stolpersteine vor dem Pfarrhaus. Foto: Lammai